W.A. DAVOS, 31. Januar. Die Absicht der Vereinigten Staaten, sich mit
einem Raketenabwehrsystem zum Schutz gegen terroristische Anschlaege auszustatten,
hat auf russischer Seite ein entsprechendes Echo gefunden: In Moskau wird
dem Vernehmen nach ernsthaft erwogen, darauf mit dem Vorschlag an die europaeischen
Nato-Staaten zu reagieren, gemeinsam mit Russland ein aehnliches System
auf dem alten Kontinent zu installieren. Wie beim Weltwirtschaftsforum
in Davos am Wochenende zu erfahren war, wurde diese Idee der amerikanischen
Aussenministerin Albright unlaengst bei ihrem Besuch in Moskau vorgetragen.
Sie soll die Anregung „hoechst aufmerksam und positiv" zur Kenntnis genommen
haben, sagte der russische Oppositionspolitiker Jawlinskij, der diesen
Plan der amerikanischen Besucherin erlaeuterte und sich nach eigenem Bekunden
in dieser Hinsicht mit dem russischen Ministerpraesidenten Primakow einer
Meinung weiss. Ein seit Jahren mit dem militaerisch-industriellen Komplex
in Russland vertrauter amerikanischer Fachmann sagte dazu in Davos, die
Ruestungsindustrie im Kernland der frueheren Sowjetunion habe in juengster
Zeit ungeachtet der sonstigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten in manchen
Zweigen eine beachtliche Straffung und Modernisierung erfahren, die sie
in die Lage versetze, zu einem solchen Raketenabwehrsystem technisch und
materiell vieles beizutr?gen.
Die Bemuehungen Amerikas, Russland fuer eine Neufassung des in den fruehen
siebziger Jahren zwischen Washington und Moskau geschlossenen ABM-Vertrags
zur Begrenzung antiballistischer Raketenabwehr zu gewinnen, waren zunaechst
auf Ablehnung gestossen. In Russland wurden Erinnerungen an die fruehen
achtziger Jahre wach, als der damalige amerikanische Praesident Reagan
die Welt mit seinem „Sternenkrieg“-Vorhaben ueberraschte und damit die
damalige sowjetische Fuehrung allein schon aus technischer und finanzieller
Sicht dermassen in Unruhe versetzte, dass sich der Kreml schliesslich zur
Wiederaufnahme von Abruestungsgespraechen bereit erklaerte. Als Albright
den amerikanischen Plan einer weniger umfaenglichen Raketenabwehr dann
kuerzlich ihrem russischen Gegenpart Iwanow sowie dem Regierungschef Primakow
vortrug, schloss Moskau zumindest nicht laenger Verhandlungen ueber eine
Neugestaltung des ABM-Vertrags aus.
Nach Ansicht Jawlinskijs muessen sich Europa und mit ihm Russland ebenso
gegen moegliche terroristische Angriffe schuetzen, wie das ein verstaendliches
Anliegen der Vereinigten Staaten sei. In Europa lasse sich ein solches
Raketenabwehrsystem aber schon aus geographischen und geostrategischen
Gruenden nur verwirklichen, wenn Russland mit einbezogen werde. Dabei kaenne
man an die Nato-Russland-Grundakte anknoepfen, die eine solche Zusammenarbeit
antizipiere. Wenn es dazu komme, so die russische Argumentation, sei das
fuer die europaeische Sicherheitsarchitektur und fuer Moskaus Bestreben,
ein aktiver Teil dieser Architektur zu werden, weitaus bedeutsamer als
Nato-Programme wie das der „Partnerschaft fuer den Frieden".
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